Wie sich der russische Krieg auf den Anlagenbau auswirkt

2022-09-17 11:33:48 By : Mr. Mark Shi

Der Angriff Russlands auf die Ukraine hat gravierende Auswirkungen für den europäischen Anlagenbau, wie hochranginge Branchenvertreter auf dem 8. Engineering Summit berichteten. Selbst Unternehmen mit wenig Geschäft in der Region sind betroffen.

Der Bau von Anlagen im Gas- und Ölsektor in Russland war für europäische Anlagenbauer ein milliardenschweres Geschäftsfeld. (Bild: ANTON – stock.adobe.com)

Nachdem die europäischen Anlagenbauer sehr optimistisch und oftmals mit vollen Auftragsbüchern ins Jahr 2022 gestartet waren, setzte die Invasion Russlands in die Ukraine am 24. Februar der positiven Stimmung ein jähes Ende. "Durch den russischen Angriff auf die Ukraine stellt sich für viele Branchen jetzt die Frage, wie es weitergehen wird", prophezeite Jürgen Nowicki, Vorsitzender des Vorstands der Arbeitsgemeinschaft Großanlagenbau im VDMA, schon im März.

Die Auswirkungen des Krieges sind in allen Branchen massiv. Auch der Anlagenbau ist von den steigenden Energie- und Rohstoffpreisen, längeren Lieferzeiten und höheren Logistikkosten sowie dem Ausfall von Lieferanten betroffen. "Die Abwicklung von laufenden Projekten wird sich massiv verzögern", erklärte Nowicki damals.

Während zu diesem Zeitpunkt die konkreten Folgen des Krieges noch weitgehend im Ungewissen lagen, zeichnet sich knapp ein halbes Jahr nach Ausbruch des Krieges ein klareres Bild. Neben den oben genannten Auswirkungen sind für viele Anlagenbauer mit dem Krieg auch ganze Projekte und damit ganz direktes Geschäft quasi von heute auf morgen weggebrochen. Grund dafür sind unter anderem die Sanktionen, die von vielen westlichen Staaten gegen Russland erhoben wurden. Und diese betreffen auch konkret den Anlagenbau. So umfasst die Liste der Ausfuhrbeschränkungen aus der EU unter anderem „Ausrüstungen, Technologien und Dienstleistungen für die Energiewirtschaft in Russland“. Zum Energiesektor gehören dabei unter anderem die Gewinnung und Herstellung von Erdgas, Öl und daraus abgeleiteten Erzeugnissen.

Für Anlagenbauer wie Linde oder Technip fällt damit plötzlich ein großer Markt weg. „Russland ist ein ganz wichtiges Geschäft für uns“, berichtete Mesut Sahin, Vice President German Market bei Technip Energies, auf dem Podium des 8. Engineering Summit am 21. Juli in Darmstadt. Sein Unternehmen hat bereits verschiedene LNG-Projekte in Russland abgewickelt. Erst 2019 hatte das Unternehmen   mit dem Megaprojekt Arctic LNG 2 in Westsibirien einen EPC-Vertrag im Wert von 7,6 Mrd. US-Dollar eingeworben. Die ersten Module für die erste von insgesamt drei geplanten Gasverflüssigungsanlagen hatte das Unternehmen im dritten Quartal 2021 ausgeliefert. Nun musste Technip das komplette Projekt auf Eis legen: Man arbeite „an einem geordneten Ausstieg aus dem Projekt“, heißt es im jüngsten Halbjahresbericht.

Wie wichtig das Russland-Geschäft für Technip ist bzw. war, zeigt auch der Blick Auftragsbestand: Zum Dezember 2021 stammten 23 % aus Russland, Wert:  4,2 Mrd. US-Dollar. „Wir sprechen hier von Milliarden und nicht Millionen“, bestätigte auch Mesut Sahin mit Blick auf das verlorene Geschäft in Russland. Ähnlich geht es dem Mitbewerber Linde: Durch den Wegfall des Russland-Geschäfts musste das Unternehmen fast 1 Mrd. Euro abschreiben, in der Anlagenbau-Sparte stehen 400 bis 500 Arbeitsplätze am Standort Pullach zur Disposition.

Mit einem kurzfristigen Comeback in Russland rechnet Mesut Sahin derweil nicht. Vielmehr soll das entgangene Geschäft nun in anderen Regionen kompensiert werden: Sahin erwähnte hier vor allem die USA, den Nahen Osten (allen voran Katar) sowie Afrika. Auch Dekarbonsierungs-Projekte in Europa könnten eine Rolle spielen.

Auf der Suche nach Alternativen ist auch Thomas Wehrheim, CEO von TGE Gas Engineering. Sein Unternehmen ist ebenfalls in vielen LNG-Projekten aktiv. So ist TGE etwa – wie auch Linde – am Gazprom-Projekt Baltic LNG an der russischen Ostseeküste beteiligt. „Dass die Sanktionen so strikt durchgezogen wurden, hat uns überrascht“, erklärte Wehrheim. Aber sie wirken: Dass spezialisierte Unternehmen wie Technip, Linde und TGE für Projekte nicht mehr zur Verfügung stehen, treffe die russische Wirtschaft, glaubt Wehrheim. Die Wahrscheinlichkeit, dass das Russland-Geschäft für die europäischen Anlagenbauer kurz- oder mittelfristig nochmal zurückkommen, sieht auch er nicht.

Die Alternativen liegen für Wehrheim vor allem in der boomenden Wasserstoff-Wirtschaft. Welches Geschäftspotenzial in diesem Bereich für Anlagenbauer schlummern, hatte schon Jürgen Nowicki zu Beginn der Anlagenbau-Tagung in seiner Keynote betont. 4,5 Billionen, also 4.500 Mrd. US-Dollar, brauche es weltweit bis 2030 jedes Jahr, um die Dekarbonierungsziele zu erreichen. Und Wasserstoff soll dabei eine große Rolle spielen. Auch der Bau der großen LNG-Terminals in Deutschland und Europa könnten für neue Betätigungsfelder sorgen.

Ganz unabhängig von neuen Geschäftsfeldern wies Thomas Wehrheim aber auf ein weiteres Thema hin, mit dem sich der Anlagenbau nun beschäftigen müsse: das Contracting, also der Bereich Verträge. Lieferverträge zum Festpreis, wie sie bei EPC-Projekten üblich sind, seien unter den derzeitigen Bedingungen nicht mehr machbar. Bei ohnehin knappen Margen sei das Risiko angesichts der in fast allen Bereichen extrem volatilen Preise für die Anlagenbauer kaum noch tragbar.

Als Folge des russischen Angriffs auf die Ukraine zieht sich nun auch der Technologie-Konzern vollständig aus Russland zurück. Finanziell macht sich der Konflikt für das Unternehmen schon jetzt bemerkbar. Hier weiterlesen.

Dies wusste auch Dr. Hannes Storch, Vice President Metals and Chemical Processing beim Anlagenbauer Metso Outotec zu bestätigen. Sein Unternehmen nehme daher aktuell vermehrt Preisgleitklauseln, welche mögliche Kostenänderungen für den Lieferanten berücksichtigen und das Risiko somit verteilen, in die Verträge mit auf. Ein Allheilmittel sind solche Klauseln jedoch nicht. So sei etwa die Frage, an welchen Materialien und an welchem Index sich diese Preisberechnung orientieren soll, immer schwierig.  Und viele Kunden, vor allem staatliche Unternehmen, akzeptieren überhaupt keine Preisgleitklauseln. In diesen Fällen könne man aktuell kein EPC anbieten. „Das Risiko kannst du nicht nehmen“, stellte Storch klar.

Auch ohne direktes Russland-Geschäft im relevanten Bereich spürt auch sein Unternehmen damit ganz konkrete Auswirkungen. Dies verdeutlicht, dass die Folgen der Ukraine-Krise die ganze Anlagenbau-Branche betreffen und damit wahrscheinlich auch noch eine ganze Weile begleiten werden.

Ende 2022 soll im Taunus die weltweit größte Brennstoffzellenzug-Flotte ihren Betrieb aufnehmen. Die Wasserstoff-Infrastruktur zum Betanken der Fahrzeuge im Industriepark Höchst ist nun bereits „so gut wie fertig“. Mehr zum Projekt. (Bild: Infraserv Höchst)

Wacker plant für einen zweistelligen Millionenbetrag ein Biotechnology Center in München. Dort will der Chemiekonzern seine Biotechnologie-Forschung bündeln. Die Inbetriebnahme ist für 2024 anberaumt. Mehr zum Projekt. (Bild: Ivan Traimak - stock.adobe.com)

Der dänische Anlagenbauer Topsoe erhält Fördergelder für sein Elektrolyseur-Projekt für grünen Wasserstoff und Power-to-X.Kraftstoffe. Damit ist das Unternehmen unter 14 von 19 Projekten, die gefördert werden. Mehr zum Projekt. (Bild: Topsoe)

Der Darmstädter Pharma- und Chemiekonzern Merck hat seine Herstellungskapazitäten für hochaktive Wirkstoffe am Standort Verona im US-Bundesstaat Wisconsin verdoppelt. Hierfür hat das Unternehmen 59 Mio. Euro investiert. Mehr zum Projekt. (Bild: Merck)

Sasol und Lotte planen, Lösungsmittel für die Elektrolyten von Elektrofahrzeug-Batterien herzustellen. Bei der Vorstudie wollen die Partner prüfen, ob die Standorte von Sasol bei Lake Charles in den USA und Marl in Deutschland für eine Anlage geeignet sind. Mehr zum Projekt. (Bild: electriceye - stock.adobe.com)

Der Gasekonzern Air Liquide und der Kraftwerksbauer Siemens Energy gründen ein Joint Venture für die Serienfertigung von Wasserstoff-Elektrolyseuren. Schon im nächsten Jahr sollen erste Anlagen produziert werden. Mehr zum Projekt. (Bild: Siemens Energy)

Die von HH2E und der MET Group entworfene Anlage soll ab 2025 rund 6.000 t/a grünen Wasserstoff produzieren. Schon jetzt planen die Partner eine Ausbaustufe, bei der die Leistung von etwa 200.000 MWh auf 1 GW gesteigert werden soll. Mehr zum Projekt. (Bild: Massimo Cavallo - Fotolia)

Die Energie- und Chemiekonzerne Shell und Dow haben in Amsterdam eine Versuchsanlage zur Elektrifizierung von Spaltöfen (Steamcracker) in Betrieg genommen. Die Unternehmen versprechen sich deutliche Einsparungen an Kohlendioxid-Emissionen. Mehr zum Projekt. (Bild: Shell)

Plug Power will den Elektrolyseur 2025 in Betrieb nehmen und 35 t/d grünen Wasserstoff für den europäischen Markt produzieren. Den Hafen Antwerpen-Brügge hat das US-amerikanische Unternehmen aufgrund der strategischen Lage als Standort gewählt. Mehr zum Projekt. (Bild: bluedesign - stock.adobe.com)

Technip Energies hat von Viridian Lithium den Zuschlag für eine Machbarkeitsstudie für den Bau einer Lithium-Raffinations- und Konversionsanlage in Europa erhalten. Mehr zum Projekt. (Bild: remotevfx - stock.adobe.com)

Die BASF will in Schwarzheide eine Anlage für das Recycling von schwarzer Masse aus Batterien im großtechnischen Maßstab errichten. Die Investition soll die Batterie-Aktivitäten am Standort weiter stärken. Mehr zum Projekt. (Bild: BASF)

Das Unternehmen MC-Bauchemie hat einen neuen Standort in Halol im indischen Bundesstaat Gujarat eröffnet. Dort werden Pulverprodukte, Betonzusatzmittel, Polymere und Harze hergestellt. Mehr zum Projekt. (Bild: MC-Bauchemie)

Das Joint-Venture BASF Shanshan Battery Materials (BSBM) erweitert seine Kapazitäten für Batteriematerialien in China. Mit dem Erweiterungsprojekt will das Unternehmen eine Kapazität von 100 kt/a für Kathodenmaterialien erreichen. Mehr zum Projekt. (Bild: BASF)

Der Energiedienstleister Getec hat im rumänischen Podari für die neue Bioethanolanlage von Clariant ein Heizkraftwerk in Betrieb genommen. Der Clou: Die Anlage nutzt den Reststoff Lignin aus der Produktion von Bioethanol. Mehr zum Projekt. (Bild: Getec)

Die BASF hat am Schweizer Standort Monthey die Produktionskapazitäten für optische Aufheller „signifikant“ erhöht. Dafür investierte der Chemiekonzern insgesamt einen zweistelligen Millionen-Euro-Betrag. Mehr zum Projekt. (Bild: BASF)

Der Chemiekonzern Evonik baut in den USA eine hochflexible Produktionsanlage für pharmazeutische Lipide im Weltmaßstab. Die Gesamtinvestition beläuft sich auf 220 Millionen US-Dollar, Baubeginn ist Anfang 2023. Mehr zum Projekt. (Bild: Evonik)

Auf dem 8. Engineering Summit am 20. und 21. Juli in Darmstadt diskutieren Referenten und Teilnehmer über brandaktuelle Themen. Mehr Infos zu der Veranstaltung. (Bild: VDMA / CHEMIE TECHNIK)

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