Hintergrund: Etwa 25 % aller Frauen berichten von unfreiwilligem Harnverlust, und bei 7 % besteht ein potenzieller Behandlungsbedarf.
Methode: Selektive Literaturauswahl unter Verwendung von Leitlinien und Cochrane Reviews.
Ergebnisse: Die Diagnostik der Beckenbodenfunktionsstörung bei Frauen umfasst eine Basisdiagnostik, die im Einzelfall durch eine Spezialdiagnostik erweitert werden sollte. Bereits bei der Anamnese ist es hilfreich, Verhalten und Persönlichkeit der Patientin zu berücksichtigen, beispielsweise soziale Stressoren, Ess- und Trinkverhalten, aber auch Angststörungen, depressive Erkrankungen, Somatisierungs – und Adaptationsstörungen. Bei der konservativen Therapie stehen Lebensstiländerungen, Physiotherapie und medikamentöse Maßnahmen im Vordergrund. Bei der Behandlung der Belastungsinkontinenz besitzt das Beckenbodentraining die größte Verbreitung mit Heilungsraten von 56,1 % versus 6 % im Kontrollarm (relatives Risiko: 8,38; 95-%-Konfidenzintervall: 3,68–19,07 %). Bei erfolglosem Beckenbodentraining kann eine Operation (Einlage von suburethralen, spannungsfreien Schlingen oder Kolposuspension) indiziert sein. Feedback und Biofeedback können bei überaktiver Blase eingesetzt werden. Sollte auch eine medikamentöse Therapie nicht erfolgreich sein, kann die Gabe von Botulinumtoxin erwogen werden.
Schlussfolgerung: Es gibt gut validierte Behandlungsmöglichkeiten für Beckenbodenfunktionsstörungen. Psychosomatische Faktoren müssen berücksichtigt werden und können den Therapieverlauf maßgeblich beeinflussen.
Lust und Sexualität, Geburt, Wasser lassen und Wasser halten, Stuhl entleeren und Stuhl zurückhalten sowie Sicherung der Lage der Organe im kleinen Becken sind Aufgabe des Beckenbodens. Um dies zu ermöglichen, bedarf es einer funktionierenden anatomischen Struktur aus Muskulatur, Bindegewebe und Nerven. Die Beckenbodenfunktion unterliegt aber auch einer zentralnervösen Steuerung. Neben der direkten Verletzung der Strukturen im Beckenboden bei einer vaginalen Geburt können Beeinträchtigungen der nervalen Steuerung, wie zum Beispiel bei neurologischen Erkrankungen, diabetischer Neuropathie und kognitiven Einschränkungen, die Beckenbodenfunktion und die Kontinenz beeinträchtigen.
Die im Vordergrund stehenden Funktionsstörungen des weiblichen Beckenbodens machen sich nicht nur in Form einer Harn- oder Stuhlinkontinenz, sondern auch durch Senkungszustände des weiblichen Genitales bemerkbar. Je nach Definition sind 30–50 % der Frauen von Beckenbodenfunktionsstörungen betroffen (1). Nach dem Gesundheitsbericht des Robert Koch-Instituts von 2007 zum Thema Harninkontinenz halten sich in der Bevölkerung viele falsche Vorstellungen und Vorurteile, vor allem über die Harninkontinenz, die eine sachgerechte Versorgung Betroffener und eine erfolgreiche Prävention erschweren (1). Es existiert oft die Überzeugung, dass Inkontinenz ein normaler Bestandteil des Alterungsprozesses sei und deswegen eine Behandlung weder notwendig noch Erfolg versprechend sei (e1).
Durch die zunehmende Lebenserwartung der Menschen werden Beckenbodenfunktionsstörungen, insbesondere Stuhl- und Harninkontinenz, weiter an Bedeutung gewinnen. Nach den Ergebnissen der SHELTER-Studie, bei der 4 156 Altenheimbewohner in 57 Heimen in 6 europäischen Ländern (unter anderem in Deutschland) untersucht wurden, sind 73,5 % der Bewohner harninkontinent (2). Saga et al. konnten zeigen, dass in Norwegen nur 25 % der Heimbewohner kontinent sind, 72 % sind harninkontinent und 42,8 % stuhlinkontinent. 40,2 % haben eine Inkontinenz für Harn und Stuhl (e2). Diese Zahlen zeigen, dass die Diagnostik und Therapie dieser Funktionsstörungen nicht nur für den Spezialisten, sondern insbesondere für den Hausarzt von großer Wichtigkeit sind.
Der Leser sollte nach Lektüre diese Beitrags folgende Aspekte verinnerlicht haben und aus dem Gelernten anwenden können:
Epidemiologie und Pathophysiologie von Harninkontinenz und Prolaps
Die International Continence Society (ICS) hat 2002 die Harninkontinenz als „jegliche Art von unfreiwilligem Urinverlust“ definiert (3). Dabei wird aber weder der Schweregrad noch der Leidensdruck der betroffenen Patienten berücksichtigt. Durch eine der weltweit größten epidemiologischen Erhebungen im Rahmen der norwegischen EPINCONT-Studie, in der 28 000 Frauen zum Thema Harninkontinenz befragt wurden, wurde versucht, sowohl den Schweregrad als auch die Beeinträchtigung im täglichen Leben zu berücksichtigen (4). Als signifikant wurde eine Inkontinenz eingestuft, wenn sie mittel- bis schwergradig ausgeprägt war und die Patientin mäßig bis schwerwiegend beeinträchtigte. In der Studie wurde der Grad der Belastung durch die Inkontinenz anhand des validierten „Severity Index“ nach Sandvik et al. (5) eingeteilt. In die Berechnung des Indexes gehen die Häufigkeit und das Ausmaß der Inkontinenz ein (Kasten 1).
Insgesamt gaben in der EPICONT-Studie 25 % der befragten Frauen unfreiwilligen Harnverlust an. Ungefähr 7 % hatten eine signifikante Inkontinenz und sind somit als potenzielle Patientinnen anzusehen. Die Häufigkeit jeglicher und signifikanter Harninkontinenz stieg mit wachsendem Alter (4) (Grafik 1).
Zu den häufigsten Formen der weiblichen Harninkontinenz zählen die Belastungsinkontinenz (ICD-10: N 39.3) (früher: Stressinkontinenz), wobei es durch eine abdominale Druckerhöhung, zum Beispiel beim Husten, Niesen, Springen, Gehen, zur Inkontinenz kommt. Des Weiteren besteht das Syndrom der überaktiven Blase (OAB – „overactive bladder“, früher auch: Dranginkontinenz). Es umfasst die Speichersymptome Pollakisurie, imperativer Harndrang (plötzlicher Harndrang, der nur mit Mühe unterdrückt werden kann) und Nykturie mit oder ohne Inkontinenz (ICD-10: N 39.42) (3). Ätiologisch können dafür ein vermehrtes Einströmen von Harndrangimpulsen, eine mangelhafte zentralnervöse Hemmung oder Blasenwandveränderungen verantwortlich sein. Die Mischinkontinenz setzt sich aus beiden vorgenannten Formen zusammen. Die Verteilung der verschiedenen Harninkontinenzformen unterscheidet sich mit dem Alter. Bei älteren Frauen dominiert die Mischinkontinenz und die überaktive Blase (e3), bei jüngeren dagegen die Belastungsinkontinenz (e4).
Psychosomatisch betrachtet ist die Miktion neurophysiologisch ein hierarchisch strukturierter Regelkreis mit kognitiv bewussten motorischen Anteilen und eher unbewussten vegetativen Anteilen. Sie ist ein erlerntes Verhalten, dass sozial reguliert wird und emotional besetzt ist mit hohem Maße an Intimität und verbunden mit zahlreichen Affekten wie Scham, Lustgefühl, Spannung und Erleichterung (6).
Bei Patientinnen mit Blasenfunktionsstörungen werden häufiger psychische Auffälligkeiten (Depression, Angst, Hypochondrie) beobachtet als bei Kontrollen ohne diese Störungen. Zugleich sind sexuelle Funktionsstörungen häufiger (7–10).
Als Descensus genitalis (ICD-10: N 81.-) wird im deutschen Sprachgebrauch ein Tiefertreten des Uterus oder der Scheide bis an den Hymenalsaum bezeichnet, als Prolaps ein Vorfall der Scheidenwand oder des Uterus über den Hymenalsaum hinaus (Abbildungen 1, 2).
Häufig wird die Gradeinteilung des Descensus genitalis wie folgt vorgenommen:
Die Prävalenz des Descensus genitalis wird in einer schwedischen Studie mit einer Population von Frauen zwischen 20 und 59 Jahren mit 31 % beziffert (e5). Die Prävalenz des Descensus bei Frauen zwischen 50 und 79 Jahren geben Hendrix et al. (e6) mit 41 % an. Das lebenslange Risiko wegen eines Genitaldescensus oder einer Inkontinenz operiert zu werden, beläuft sich auf 11–19 %, das Risiko für eine Rezidivoperation liegt nach Olsen et al. sogar bei 29 % (e7–e9).
Schwangerschaft und Geburt sind ein wesentlicher Risikofaktor für die Entwicklung einer Harninkontinenz und eines Prolaps. In der norwegischen EPICONT-Studie wurden bei 15 307 Frauen, die jünger als 65 Jahre waren, Daten zu Parität und Harninkontinenz evaluiert. Die Prävalenz für jegliche Form von Harninkontinenz betrug 10,1 % für Nulliparae, 15,9 % nach Kaiserschnitt und 21,0 % nach vaginaler Geburt. Im Vergleich zu nulliparen Frauen hatten Frauen nach Sectio eine adjustierte Odds Ratio für jegliche Form der Harninkontinenz von 1,5 (95-%-Konfidenzintervall [KI]: 1,2–1,9). Das gleiche gilt für mäßige und schwere Inkontinenz (Odds Ratio: 1,4; 95-%-KI: 1,0–2,1) (11, e10).
In der schwedischen SWEPOP-Studie wurden 5 236 Frauen, die jeweils nur ein Kind entweder vaginal oder per Sectio geboren hatten, 20 Jahre post partum mit einem validierten Fragebogen über Symptome von Prolaps und Harninkontinenz befragt. Die Prävalenz eines symptomatischen Prolaps war für Frauen nach vaginaler Geburt doppelt so hoch wie nach Sectio (14,6 % versus 6,3 %; Odds Ratio: 2,55; 95-%-KI: 1,98–3,28) (12).
Die Anamnese sollte sich auf die Art und das Ausmaß der Symptome konzentrieren sowie den Grad der Beeinträchtigung auch der Sexualität und den Leidensdruck der Betroffenen ermitteln. Des Weiteren sollten die geburtshilfliche und gynäkologische Vorgeschichte, relevante Begleiterkrankungen, Medikamente, frühere Therapien und die aktuellen Therapieziele der Patientin erfasst werden (13, e11). Auch neurologische und internistische Begleiterkrankungen und Medikamente können Einfluss auf das Miktionsverhalten haben: zum Beispiel Übergewicht, Diabetes mellitus, Multiple Sklerose, andere neurologische Erkrankungen, wie Traumata, M. Parkinson und Erkrankungen der Lendenwirbelsäule und Medikamente (Anticholinergika, Calciumantagonisten, Antidepressiva, Diuretika) (e11).
Unter psychosomatischen Gesichtspunkten sollten berücksichtigt werden: Biografische Anamnese, soziale Stressoren ebenso wie das Ess- und Trinkverhalten, vorhandene Angststörungen, depressive Erkrankungen, Somatisierungs- und Adaptationsstörungen (6). Auch das Problem der Gewalterfahrung sollte in der Anamnese erfragt werden. So konnten die Autoren in einer eigenen Untersuchung zeigen, dass Frauen mit überaktiver Blase (30,6 %, 26/85) häufiger Opfer sexueller und physischer Gewalt waren als kontinente Kontrollpatientinnen (17,5 %, 10/57) oder Frauen mit Belastungsinkontinenz (17,8 %, 18/101) (14).
Die umfassende diagnostische Vorgehensweise ist in Kasten 2 zusammengefasst.
Zunächst sollte durch eine Urinuntersuchung ein Harnwegsinfekt ausgeschlossen werden (13). Bei der gynäkologischen Untersuchung wird ein Descensus genitalis, eine Genitalatrophie und die Levatorkontraktionskraft (e12) beurteilt. Im Hustentest mit gefüllter Blase kann eine Belastungsinkontinenz nachgewiesen werden. Die postmiktionelle Restharnbestimmung durch Ultraschall oder mit Hilfe eines Einmalkatheters gibt Auskunft über die Entleerung der Blase (Abbildung 3). Durch ein Miktionstagebuch kann die Miktionshäufigkeit und das Volumen dokumentiert werden (15). Die Patientinnen messen dabei die Miktionsmenge und notieren sie mit der Uhrzeit in einem Protokoll.
Im Perineal- oder Introitusschall kann die Mobilität des Blasenhalses beim Pressen und Husten beurteilt (Hypermobilität der Urethra, Trichterbildung), Blasen- und Urethradivertikel detektiert, die Elevation des Blasenhalses bei Kontraktion des M. levator ani dargestellt (Beckenbodentraining) und das Ausmaß eines Descensus der vorderen Vaginalwand verdeutlicht werden. Außerdem lassen sich Abrisse des M. levator ani und die Lage von suburethralen Kunststoffbändern und Netzen darstellen (16, e7, e10, e13–e17).
Die Basisdiagnostik ist ausreichend, um eine konservative Therapie zu indizieren. Wenn diese nicht zum Erfolg führt oder wenn eine operative Therapie geplant ist, dann muss eine weiterführende Diagnostik erfolgen.
Durch eine urodynamische Messung wird das Füllverhalten der Blase beurteilt (Zystometrie), die Verschluss-Funktion der Harnröhre gemessen (Profilometrie) und die Miktion evaluiert (Uroflow, Miktiometrie). Mit der urodynamischen Messung kann sich eine relevante Drangkomponente nachweisen und eine Blasenentleerungsstörung sowie komplexe Funktionsstörungen abklären lassen (17).
Vor allem neurogene Blasenfunktionsstörungen können durch eine sogenannte Videourodynamik nachgewiesen werden. Hierbei wird simultan zur urodynamischen Messung radiologisch die Blase und Harnröhre dargestellt. Bei überaktiver Blase soll nach einer erfolglosen konservativen Anbehandlung eine Zystoskopie erfolgen (18).
Validierte Fragebögen sind zur Erfassung von Schweregrad, Auswirkung auf die Lebensqualität und von posttherapeutischer Verbesserung oder Verschlechterung den nur standardisierten Fragebögen vorzuziehen. Selbstadministrierte Fragebögen gelten international als Goldstandard (e18). Fragebögen werden hauptsächlich in Studien eingesetzt. Weitere Informationen siehe eKasten, (e19–e21).
Es liegen zahlreiche Studien zur konservativen und operativen Therapie von Belastungsinkontinenz, überaktiver Blase und Descensus vor. Diese sind auch in Metaanalysen und Cochrane Reviews veröffentlicht (19–28).
Eine Umfrage in Kanada hat ergeben, dass 18- bis 44-jährige Frauen mit Urininkontinenz häufiger an einer Depression erkrankt waren als Kontinente (30 % versus 9,2 %) (29). Auch Angsterkrankungen und eine allgemeine Furcht zu erkranken, waren mit Inkontinenz assoziiert (30). Diese Ergebnisse unterstreichen die Bedeutung der Psychosomatik bei der Behandlung der Inkontinenz. Die psychosomatische Behandlung bezieht meist kognitiv verhaltenstherapeutische Aspekte mit ein. Für die Inkontinenzbehandlung mit der Verhaltenstherapie gibt es allerdings keine Untersuchungen mit hohem Evidenzgrad. Im Rahmen der Verhaltenstherapie sollte der Patientin ein Grundverständnis für ihre individuelle Störung vermittelt werden. Voraussetzung ist eine Information zur Anatomie und Physiologie der Miktion mit Darstellung und Erklärung des Miktionsablaufes und der möglichen Störung. Therapeutische Schritte können die Erfassung des Miktionsverhaltens sein (Miktionskalender) sowie die Erörterung der Frage, ob es auslösende Situationen gibt. Ein zweiter Schritt wäre die Motivation, ein Miktionstraining zu gestalten. Hierbei können körperbezogene Übungen wie Beckenbodentraining und Biofeedback hilfreich sein.
Konservative Therapie – Die konservative Therapie besteht aus einer Änderung des Lebensstils.
Hierzu zählen zum Beispiel:
In die Scheide eingeführte Hilfsmittel (zum Beispiel Urethrapessare nach Arabin, Inkontinenztampons) können den urethrovesikalen Übergang stützen und somit die Inkontinenz vermeiden (e23, e24).
Medikamentös wird Duloxetin als einziger Wirkstoff in der Therapie der Belastungsinkontinenz angeboten. In zwei systematischen Reviews konnte gezeigt werden, dass bei einer Tagesdosis von 80 mg Duloxetin die Inkontinenz nicht heilt, jedoch die Belastungs- und Dranginkontinenzepisoden reduziert werden. Aufgrund der anfänglich oft starken Übelkeit als Nebenwirkung soll die Duloxetintherapie einschleichend begonnen werden (e25, e26).
Beckenbodentraining – Ziel des Beckenbodentrainings ist die Steigerung der Kontraktionskraft und Verbesserung der Koordination; durch Anspannen der Muskulatur wird die Mobilität des Blasenhalses beim Husten signifikant reduziert. Eine klare Aussage über Heilungs- und Verbesserungsraten ist aufgrund unterschiedlicher Trainingsmodelle und Ergebnis-Definitionen erschwert, die Cochrane-Analyse von Dumoulin et al. hat jedoch den Nutzen eines Beckenbodentrainings belegt (20). So ergab die Metaanalyse von vier Studien mit 165 Teilnehmerinnen (20) eine Heilungsrate von 56,1 % in der Interventionsgruppe versus 6 % im Kontrollarm (relatives Risiko [RR]: 8,38; 95-%-KI: 3,68–19,07).
Frauen mit Belastungsinkontinenz oder anderen Formen der Urininkontinenz schnitten in verschiedenen Metaanalysen in den Interventionsgruppen in Bezug auf Lebensqualität, Zufriedenheit mit der Behandlung oder der Notwendigkeit für eine weitere Therapie signifikant besser ab als die Kontrollgruppen (20). Auch nach Bø (24) gibt es Grad 1, Level-A-Evidenz für die Effektivität der Physiotherapie.
Operative Therapie – Die AWMF-Leitlinie der Belastungsinkontinenz sieht eine operative Therapie erst nach einem erfolglosen Versuch mit Beckenbodentraining vor (13). In erster Linie werden dabei suburethrale, spannungsfreie Schlingen (TVT-Bänder, „tension-free vaginal tape“) eingesetzt. Mittlerweile stehen auch Single-Inzisions-Schlingen und nachadjustierbare Systeme zur Verfügung (e27, e28).
Komplikationen sind unter anderem (e29):
Die objektive Heilungsrate nach suburethraler Bandeinlage beträgt 85–90 % nach mindestens 12-monatigem Nachbeobachtungszeitraum, die subjektiven Heilungsraten sind mit 77 % etwas niedriger. Für die TVT-Operation liegen mittlerweile Daten nach 17 Jahren vor, dabei sind die Erfolgsraten mit 87 % subjektiver Heilungs- und Besserungsrate bei 71 nachuntersuchten Patientinnen weiter sehr gut (32, e30). Alternativ kommt die Kolposuspension zur operativen Behandlung der Belastungsinkontinenz infrage. Bei der Kolposuspension wird von abdominal offen oder laparoskopisch das paraurethrale Scheidenfasziengewebe an den Cooperschen Ligamenten befestigt. Mögliche Komplikationen der Operation sind eine Blasenentleerungsstörung (5–25 %) und die postoperative Entstehung einer Rekto-/Enterozele (5–20 %) (33).
Auch langfristige Follow-up-Studien bis zu fünf Jahre nach dem Eingriff zeigen keine Effektivitätsunterschiede im Vergleich zur Kolposuspension (e31, e32). Nach fünf Jahren erscheinen die offene Kolposuspension und der Eingriff mit autologen Faszienschlingen gleich effektiv (Level of Evidence [LOE]: 1b) (13). Darüber hinaus sind die laparoskopische und offene Kolposuspension nach 2 Jahren ebenfalls gleich wirksam (LOE: 1a), wobei der laparoskopische Eingriff mit geringeren postoperativen Schmerzen und kürzerer Rekonvaleszenz verbunden ist (LOE: 1a) (13).
Des Weiteren finden noch sogenannte „bulking agents“ Verwendung, die in die urethrale Submukosa der proximalen oder mittleren Harnröhre oder den externen urethralen Sphinkter injiziert werden. Hierfür wurden unterschiedliche Materialien zur Injektion entwickelt (körpereigenes Fett, Kollagen, Silikon, Dextranomer + Hyaluronsäure, Polyacrylamid, etc.), die zu kurz- oder mittelfristigen Symptomverbesserungen führen; Langzeitergebnisse liegen jedoch nicht vor (22). Ein Cochrane Review kommt zu dem Ergebnis, dass die Evidenzlage für diese Intervention unzureichend ist (34). Ferner werden auf gelegentlich auftretende schwere Komplikationen beim Einsatz von autologem Fett hingewiesen.
Therapie des Syndroms der überaktiven Blase
Das Ziel der Therapie der überaktiven Blase besteht in der Vergrößerung des stabilen Speichervolumens, einer Verlängerung der Miktionsintervalle, der Erlangung sicherer Kontinenz und einer sozialen Reintegration. Die AWMF-Leitlinie empfiehlt dabei nach einem Stufenschema vorzugehen (18) (Grafik 2) .
Konservative Therapie – Verhaltenstherapeutische Maßnahmen umfassen ein Miktions- und Toilettentraining. Dieses kann durch ein Beckenbodentraining in Gruppen-/Einzelsitzungen oder intensiviert durch Elektrostimulations- und Biofeedbackgeräte unterstützt werden. Die Wirksamkeit von Feedback und Biofeedback konnte in einer Metaanalyse von 17 Studien bestätigt werden, wobei in der Kontrollgruppe ein Training der Beckenbodenmuskulatur stattfand (RR: 0,75; 95-%-KI: 0,66–0,86) (35). Der Nutzen der Physiotherapie konnte durch eine Cochrane-Analyse belegt werden (20).
Es gibt Hinweise, dass die Elektrostimulation (oder Neurostimulation) durch Stimulation afferenter Fasern (zum Beispiel N. pudendus, N. tibialis posterior) den Therapieerfolg verbessern kann (e33).
Medikamentös werden neben lokal applizierten Östrogenen vor allem Anticholinergika und Antimuskarinika eingesetzt. In Deutschland zugelassene Wirkstoffe sind: Darifenacin, Fesoterodin, Oxybutynin, Propiverin, Solifenacin, Tolterodin und Trospiumchlorid, deren Nutzen durch zahlreiche randomisierte Studien belegt sind (36, e34). Die Einnahme von Anticholinergika führt zu einer signifikanten Reduktion der Miktionsfrequenz und der Inkontinenzepisoden. Die hauptsächlichen Nebenwirkungen umfassen Mundtrockenheit, Obstipation und Sehstörungen. Die Langzeittherapietreue der Patienten ist deshalb gering: 24 Monate nach der Erstverordnung nehmen nur noch 6–12 % das verordnete Medikament weiter ein (e35).
Operative Therapie – Bei Unverträglichkeit und Nichtansprechen der anticholinergen Therapie ist seit dem Jahr 2013 auf Grundlage mehrerer randomisierter kontrollierter Studien (37) die Injektion mit Botulinumtoxin zur Therapie der idiopathischen überaktiven Blase zugelassen. Dabei werden je nach Hersteller 100 I/U oder mehr verdünnt an 20 Lokalisationen unter zystoskopischer Kontrolle in den Detrusor injiziert. Im Rahmen einer randomisierten Studie mit 557 Teilnehmern wurde gezeigt, dass damit die Anzahl der Dranginkontinenzepisoden um 51 % gesenkt werden konnte (e36). Bei 27 % der Behandelten wurde sogar eine Kontinenz erreicht. Der Effekt hält aber nur etwa 6 Monate an, dann muss eine erneute Injektion durchgeführt werden. Als Komplikation kann es zu einer vorübergehenden Blasenentleerungsstörung kommen (e37).
Bei der sakralen Neuromodulation bewirken uni- oder bilateral eingeführte Stimulationselektroden in die Sakralforamina S2–S4 eine Unterdrückung der Detrusorhyperaktivität. Nach einer Testsimulation wird ein permanenter Schrittmacher implantiert (38). Als ultima ratio sind die chirurgische Blasenaugmentation, Harnblasenersatz und die Harnableitung anzusehen.
Konservative Therapie – hierzu gehören die klinische Beobachtung, Abbau von bekannten Risikofaktoren wie Adipositas, Nikotinabusus und chronischer Obstipation sowie ein gezieltes Beckenbodentraining. In einer Cochrane-Analyse von 2011 wurden vier randomisierte Studien, bei denen das Beckenbodentraining bei Prolaps evaluiert wurde, ausgewertet. Dabei zeigte sich, dass ein Beckenbodentraining die Wahrscheinlichkeit, dass sich der Prolapsgrad um mindestens ein Stadium bessert, um 17 % erhöht im Vergleich zu der Gruppe ohne Training (25). Die lokale Östrogenisierung ist etabliert für irritative Symptome und essenziell bei der Pessartherapie zur Vermeidung von vaginalen Ulzerationen (e38). Es gibt derzeit nur wenige randomisierte Studien zur Pessaranwendung (26). Beobachtungsstudien zeigen jedoch, dass bei 50–73 % der Patientinnen ein Pessar erfolgreich angepasst werden kann (39, e39). Eine große randomisierte Studie zum Vergleich von Pessarverwendung versus Beckenbodentraining im Langzeitverlauf wurde im Jahr 2009 in den Niederlanden initiiert, die Ergebnisse stehen jedoch noch aus (e40).
Operative Therapie – Bei der Planung einer Operation müssen das Alter der Patientin, begleitende Risikofaktoren wie Adipositas und schwere körperliche Arbeit und der Wunsch nach Uteruserhalt beziehungsweise Hysterektomie mit einbezogen werden.
Wichtig ist es, den Beckenboden als eine Einheit und nicht in einzelnen Kompartimenten zu betrachten. Selten existieren Defekte nur in einem Kompartiment (vorderes, mittleres und hinteres Kompartiment). Präoperativ sollten deshalb alle Defekte diagnostiziert werden, da eine unvollständige Reparatur das Risiko eines nicht zufriedenstellenden Operationsergebnisses oder die Notwendigkeit weiterer Operationen birgt. Im Folgenden werden die verschiedenen Operationsmöglichkeiten bezogen auf das mittlere, vordere und hintere Kompartiment kurz zusammengefasst.
Bei vorhandenem Uterus muss dieser entweder fixiert werden (zum Beispiel am Ligamentum sacrospinale oder am Os sacrum), oder es erfolgt die Hysterektomie mit gleichzeitiger Fixation des Scheidenstumpfes. Die abdominale oder laparoskopische Sacrokolpopexie zeigt eine Erfolgsrate von 78–100 % für die Fixation des Scheidenstumpfes mit einer Reoperationsrate von 4,4 % wegen Prolaps (e41). Das vaginale Vorgehen mit einer sacrospinalen Fixation zeigt ähnlich gute Ergebnisse mit einer Erfolgsrate von 79–97 % (e42). Allerdings zeigt ein Metaanalyse im Cochrane-Review, dass die Sacrokolpopexie im direkten Vergleich effektiver ist als die sacrospinale Fixation (28).
Die Korrektur des Deszensus an der vorderen Vaginalwand mit Eigengewebe hat in randomisierten Studien mit mindesten 12 Monaten Nachbeobachtungszeit eine Erfolgsrate von 30–100 % (kumulative Erfolgsrate: 63 %). Wird gleichzeitig eine Operation zur Unterstützung des apikalen (mittleren) Kompartimentes durchgeführt, sinkt das Rezidivrisiko signifikant (RR: 0,7; 95-%-KI: 0,6–0,81) (28, 40).
Die Datenlage über die Erfolgsrate bei der Implantation von Netzen an die vordere Scheidenwand ist sehr uneinheitlich. Nachdem die US Food and Drug Administration (FDA) im Jahre 2011 eine Warnung über den Einsatz von Netzen in der Beckenbodenchirurgie außerhalb von Studien herausgegeben hat, wurden mehrere der in randomisierten Studien untersuchten Systeme vom Markt genommen. Die Metaanalyse der randomisierten Studien zeigt, dass ohne zusätzliche Netzeinlage das Risiko eines Rezidives dreifach ansteigt (RR: 3,5; 95-%-KI: 2,7–4,4). Die Erfolgsraten für die vordere Plastik liegen hier bei 52 %, die mit Netzaugmentation bei 86 % (p < 0,001) (28).
Die hintere Scheidenplastik mit Eigengewebe als mediane Faszienraffung ohne Netzeinlage hat in einer prospektiven Beobachtungstudie mit einer Mindestnachbeoachtungsdauer von 12 Monaten hat eine Erfolgsrate von 82–93 % (kumulative Erfolgsrate 86 %) (e43) und bleibt für die Primärsituation eine gute Option. Für die Anwendung von Netzen im hinteren Kompartiment liegen keine randomisierten Studien vor (28, 40).
Prof. Peschers erhielt Honorare für eine Beratertätigkeit von Astellas und Allergan. Erstattung von Teilnahmegebühren für Kongresse erhielt sie von Pfizer. Reise- und Übernachtungskosten sowie Honorare für Vorträge wurden ihr von den Firmen Coloplast, Allergan, AMS, und Astellas zuteil. Für Coloplast und Allergan hat sie Honorare für die Durchführung von klinischen Auftragsstudien erhalten.
Prof. Kentenich und PD Jundt erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Manuskriptdaten eingereicht: 18. 8. 2014, revidierte Fassung angenommen: 9. 7. 2015
Anschrift für die Verfasser Prof. Dr. med. Ursula Peschers Beckenboden Zentrum München Denninger Straße 44, 81679 München peschers@bbzmuenchen.de
Zitierweise Jundt K, Peschers U, Kentenich H: The investigation and treatment of female pelvic floor dysfunction. Dtsch Arztebl Int 2015; 112: 564–74. DOI: 10.3238/arztebl.2015.0564
@The English version of this article is available online: www.aerzteblatt-international.de
Zusatzmaterial Mit „e“ gekennzeichnete Literatur: www.aerzteblatt.de/lit3315 oder über QR-Code
eKasuistik, eKasten: www.aerzteblatt.de/15m0564 oder über QR-Code
Polycystic Ovary Syndrome and Pelvic Floor Dysfunction: A Narrative Review
Reinhardtstr. 34 · 10117 Berlin Telefon: +49 (0) 30 246267 - 0 Telefax: +49 (0) 30 246267 - 20 E-Mail: aerzteblatt@aerzteblatt.de
entwickelt von L.N. Schaffrath DigitalMedien GmbH
Sie finden uns auch auf: